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Langzeittest: Specialized S-Works Enduro – Das Zeug aus dem Träume gemacht werden?

Fotos: Patrick Sturm

Die kalifornische Edelschmiede hat mit dem S-Works Enduro einen High End Twenty-Niner Carbon Boliden auf den Markt gebracht. Mit 170mm Federweg, einer modernen Geometrie und einem interessanten Fahrwerksdesign steht dem Enduro nichts im Weg. Wir konnten das langhubige Geschoss eine Saison lang testen.

Specialized hat sich in der Mountainbike Historie einen Namen gemacht und ist aus dem Sport nicht mehr wegzudenken. Im World Cup stehen Athleten wie Loic Bruni und Finn Iles regelmäßig auf dem Podium und auch wer auf den heimischen Trails unterwegs ist, kommt nicht um die Marke drum herum. Vor ca. fünf Jahren durfte ich das erste Mal auf dem 170mm Hobel sitzen und war von da an angefixt. Umso mehr habe ich mich gefreut, das Enduro in diesem Jahr etwas ausführlicher unter die Lupe nehmen zu dürfen.

12.000 Euro kostet das Enduro in der S-Works Top Variante. Das ist zum einen mehr als doppelt so viel wie ich für meinen Mazda ausgegeben habe und auch ein Preis, den sich die meisten von uns niemals leisten wollen. Die Einstiegsvarianten mit Rockshox Zeb Select und Sram GX Komponenten sind ab 5.800 Euro erhältlich und damit teilweise schon teurer als die Top Varianten des ein oder anderen Direktversenders.

Natürlich muss man keine 12.000 Euro ausgeben. Hier geht es definitiv um ein Prestige Objekt, das man einfach haben möchte. Die günstigeren Varianten tun es nämlich auch. Das Enduro ist in allen Ausstattungsvarianten nur mit Carbon Rahmen erhältlich und die S-Works Variante unterscheidet sich durch eine höhere Qualität des Rahmens bei dem die Toleranz der verlegten Fasern geringer ist und ein Teil der Anlenkung nicht aus Aluminium, sondern auch auch aus Carbon gefertigt wird. Obendrauf gibt es natürlich noch die elektrischen Komponenten von Sram, Factory Fahrwerk und viel High-End Plastik.

Das Wichtigste ist aber die Performance auf dem Trail – und die Antwort auf die Frage, weshalb das Specialized Enduro trotz seines Preises und der einen oder anderen Design-Schwäche so unglaublich beliebt ist.

Optik und Features

Es gibt Mountainbikes, bei denen auf den ersten Blick nicht klar ist, in welche Kategorie man sie stecken soll. Schaut man sich das kalifornische Enduro an, kommt man jedoch nicht drum herum, dass diese Kiste fürs Grobe geschnitzt wurde. Der Lenkwinkel, der lange Reach und das Fahrwerkdesign sprechen für sich und sehen einfach brachial aus. Ähnlich wie bei den Santa Cruz MTB Modellen ist der Dämpfer tief unten im Rahmen verbaut und liegt unter dem Sitzrohr. Die Anlenkung ist dementsprechend markant.

Da es sich bei der Schaltung und der Sattelstütze um die elektrischen AXS Komponenten von Sram handelt, ist das Cockpit dementsprechend aufgeräumt und nur die Bremsleitungen zu sehen. Somit ist die Leitung der hinteren Bremse auch die einzige, die durch den Rahmen verlegt ist. Specialized hat das sehr schön gelöst und auch nach einer ganzen Saison klappert da nichts im Carbon Rahmen.

Das 2021 S-Works Enduro verzichtet übrigens auf große Decals. Der Matt Schwarze Carbon Rahmen wirkt sehr edel, lediglich am Unterrohr steht in einem dezenten grau der S-Works Schriftzug.

Die kalifornische Marke gehörte zu den ersten, die die sogenannte Swat-Box im Rahmen verbaute. Das ist eine Art Handschuhfach um Unterrohr, das sich durch eine Klappe unter dem Flaschenhalter öffnen lässt und genügend Platz für eine kompakte Regenjacke, Tools und Ersatzteile bietet. Definitiv ein Highlight für alle, die ohne Rucksack und hippe Hipbag unterwegs sein wollen.

Aber: Werkzeug müsst ihr nicht unbedingt mitnehmen, denn im Headset versteckt sich das Swat-Tool. Hier muss man einfach nur die Headset Kappe zur Seite drehen und schon kommt das Tool danke einer Feder zum Vorschein. Das System erspart euch auch eine Gabelkralle da es mit einer Schale in der Gabelkrone gekontert wird und somit euer Headset fest zieht. Auf Dauer hält das auch sehr gut und bekommt auch nach vielen Tagen im Bike Park kein Spiel. Hier hat Specialized definitiv dazugelernt.

Wo wir schon beim Headset sind. Die Lager haben die gesamte Saison gehalten und laufen immer noch sehr geschmeidig. Das Knacksen, das wir häufiger gehört haben, kam von den Carbon Spacern zwischen Headset und Vorbau. Sobald hier auch nur das kleinste Staubkorn rein kommt, entstehen Geräusche. Wer mag, kann diese aber ganz einfach gegen günstige Alu Spacer tauschen, oder sollte öfter mal die Spacer reinigen.

Specialized Enduro
Staubige Trails Anfang des Jahres in Latsch

Geometrie – lang, flach und modern

Wer die erste Abfahrt auf dem Enduro gemacht hat, wird sich stark an ein Downhill Bike erinnern. Das liegt zum einem an den 170mm Federweg, aber auch an der modernen Geometrie.

Das Specialized Enduro ist in vier Größen erhältlich. Die Kalifornier*innen nutzen die Bezeichnung S2 – S4. Uns wurde die Größe S3 zur Verfügung gestellt, die einen Reach von 487mm, einen Lenkwinkel von 63,9°, eine Kettenstrebe mit 442mm hat und somit auf einen Radstand von 1274mm kommt. Das ist definitiv modern und auf den Trails spürbar.

Der Sitzwinkel könnte mit seinen 76° vielleicht noch etwas steiler sein, jedoch fährt das Enduro für das was es ist, recht gut den Berg hinauf. Dazu später mehr.

GrößeS2S3S4S5
Reach437 mm464 mm487 mm511 mm
Stack616 mm620 mm629 mm638 mm
Oberrohr591 mm619 mm644 mm670 mm
Radstand1.217 mm1.246 mm1.274 mm1.302 mm
Lenkwinkel63,9°63,9°63,9°63,9°
Sitzwinkel76,0°76,0°76,0°76,0°
Kettenstrebe442 mm442 mm442 mm442 mm
Steuerrohr95 mm100 mm110 mm120 mm
Sattelrohr400 mm420 mm440 mm465 mm
Tretlagerabsenkung21 mm21 mm21 mm21 mm

Auch die Anlenkung des Dämpfer ist interessant. Dieser liegt relativ flach und tief im Rahmen wodurch der Schwerpunkt nach unten verlagert wird. Das Fahrwerks-Design ist vom Specialized Demo inspiriert und soll den Anti-Squat Wert erhöhen. Das Hauptlager des Hinterbaus wurde ebenfalls etwas nach vorne gezogen wodurch die Kurve der Hinterradachse beim Einfedern weiter nach hinten wandert und somit „Hängenbleiben“ verringert.

Das funktioniert auch spürbar gut, denn das Enduro bügelt gekonnt über kleine und größere Unebenheiten, ohne dabei an Geschwindigkeit zu verlieren. Der Hinterbau arbeitet dabei extrem präzise und feinfühlig.

Komponenten und Ausstattungen 

Was bekommt man für den Preis eines Neuwagens? Natürlich die modernsten Komponenten und das Fox Factory Fahrwerk. An der Front arbeitet beim Specialized S-Works Enduro die Fox Factory 38 mit 170mm Federweg. Am Heck der Fox Float X2 Factory. Was das Fahrwerk angeht bleiben einem keine Wünsche offen. Die Kashima beschichteten Komponenten arbeiten super feinfühlig und die dicken 38mm Standrohre der Gabel verfügen über die nötige Steifigkeit für hohe Geschwindigkeiten im rauen Gelände. Obendrauf verfügen die Factory Komponenten über einen hohes Maß an Einstellmöglichkeiten dank derer jeder sein perfektes Setup finden sollte.

Geschaltet wird mit der elektrischen Sram XX1 AXS 12-Fach Gruppe die präzise arbeitet und über eine ausreichende Übersetzung für schnelle Abfahrten und steile Steigungen verfügt. Auch die Bremsen sind aus dem Hause Sram. Am S-Works ist die Code RSW 4-Kolben Anlage mit einer 220mm Scheibe an der Front und einer 200mm Scheibe am Heck verbaut. Natürlich lässt sich über diese Bremse streiten, jedoch sorgt die Sram für eine präzise Bremskontrolle und ordentlich Kraft in steilen Sektionen. Wer sich um sein Bike kümmert und die Komponenten pflegt, wird hier nichts vermissen.

Ein Kleiner Tipp: Die Kombination aus dem verbauten Carbon Lenker und den Sram-Bremsen ist nicht ganz optimal. Die schmale Klemmung der Bremsen kann sich bei einem Sturz in den Carbon Lenker drücken. Am Enduro ist uns das zwar nicht passiert – dafür aber sowohl beim Kenevo SL als auch beim Demo. Beide Lenker sind an der Klemmung der Bremse nach einem härteren Sturz gebrochen. Das ist aber nicht nur bei dem Specialized Carbon Lenker so. Einige Lenker-Hersteller empfehlen deshalb, die Sram Bremsen nicht an einem Bike mit Carbon-Lenker zu montieren.

Die Sattelstütze ist die Rockshox Reverb AXS mit 170mm Hub in den Rahmengrößen S4-S5. Diese elektrisch gesteuerte Stütze kann nicht unbedingt mehr als die hydraulische Konkurrenz, sorgt aber dank des kabellosen Setups in Verbindung mit der AXS Schaltung für ein extrem aufgeräumtes Cockpit. Mich persönlich hat jedoch der etwas kurze Hub gestört, da das Sitzrohr recht tief sitzt und ich deshalb die Stütze weit nach oben ziehen musste. Bei langen Tagen im Park habe ich deshalb den Sattel etwas tiefer positioniert als bei Runden auf den Hometrails bei denen bergauf gefahren werden musste.

Ein Highlight sind die Specialized Roval Traverse SL 29 Felgen. Diese Teile aus Carbon halten extrem viel aus und haben in der Saison einige wilde Schläge abbekommen. Klar: Der Preis ist hoch. Wer die Felgen nachrüsten möchte, muss bis zu 1.700 Euro für den Laufradsatz hinlegen.

Die Bereifung stammt ebenfalls von Specialized. Der Butcher an der Front und der Eliminator am Heck haben extrem viel Grip auf rutschigen Enduro Trails. Tubeless kann man diese Gummis mit ziemlich wenig Luftdruck fahren und so das ganze Potential entfalten. Nur auf flowigen Strecken mit gebauten Kurven sollte man den Druck nicht zu gering halten, da sich die Reifen ziemlich leichten falten und dadurch leiden. Generell wirkte die Gummimischung schon nach wenigen Tagen im Park recht weich und verschliss recht schnell. Somit haben wir nach wenigen Wochen auf Maxxis Reifen gewechselt, die wir als Reserve in der Redaktion hatten. Wer aber damit klar kommt, dass die Reifen etwas schneller verschleißen, wird auf seine Kosten kommen, denn Grip und Performance sind exzellent – vor allem auf den ersten paar Hundert Kilometern.

Specialized Enduro
Desto schneller, umso stabiler

Das Specialized S-Works Enduro auf dem Trail 

Kommen wir zum wichtigsten und aussagekräftigsten Teil des Tests. Wer die Bikes von Specialized kennt, weiß: Draufsitzen, wohlfühlen. Gefühlt machen die Kalifornier*innen einfach vieles direkt richtig. Das ist auch beim Enduro so. Schon im Uphill wird klar, dass die Kiste was kann. Denn obwohl man auf einem langen und flachen 170mm Mtb sitzt, klettert es erstaunlich gut. Natürlich kann man es nicht mit der Performance kurzhubigerer Trail Bikes vergleichen, aber für das was es ist, macht es seinen Job ausgezeichnet. Geht es mal auf eine technische Kletterpassage, krallen sich die Reifen in den Untergrund und der feinfühlige Hinterbau klebt am Boden. Ansonsten lässt sich das Enduro dank seiner 14,7kg in der Rahmengröße S4 (mit Pedalen) auch sehr gut in einen Lift einhängen. 😉

Aber die Uphill Performance ist ja meistens auch nur Mittel zum Zweck bei einem richtigen Enduro. Denn sobald man in den Trail fährt, fühlt sich das Specialized pudelwohl. Das Warmup beginnt immer auf einer flowigen Strecke wo das 29″ Geschoss extrem schnell wird. Natürlich brauchen Pumps etwas mehr Kraft und Kurven können mit dem langen Rahmen etwas eng werden, jedoch sorgt die Geometrie für extrem viel Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten. Das Grund Setup des Fahrwerks sorgt auch dafür, dass man etwas mehr Kraft braucht um das Enduro in die Luft zu befördern. Mit ein paar Tokens kann das Fahrwerk jedoch etwas poppiger gestaltet werden.

Specialized Enduro
Wenn es ruppig und steil wird, fühlt sich das Enduro wohl.

Interessant ist auch die Performance des Enduro auf Enduro Trails. Wer hätte gedacht, dass hier der eigentlich Charakter des Mtbs zur Geltung kommt. Der Hinterbau klebt am Boden und arbeitet extrem sensibel. Die Traktion, die das Specialized erzeugt ist extrem. Wurzeln, Felsen und Bremswellen sind absolut kein Hindernis und werden zu einem Witz. Auch größere Sprünge und Drops sind dank der 170mm kein Problem. Wie schon gesagt, es fühlt sich einfach wie ein Downhill Bike an.

Auch wenn es mal zu schnell in eine anspruchsvolle Sektion geht und das Fahrwerk so richtig arbeiten muss, sorgt die Geometrie für Selbstbewusstsein. Das Enduro lässt einen tatsächlich die eigenen Grenzen überschreiten und neu ausloten. Und das macht verdammt viel Spaß.

Was ich aber auch sagen muss ist, dass das Enduro für den ein oder anderen zu sehr bügelt und am Boden klebt. Denn wer gerne hier und dort abzieht und etwas mehr spielt, oder auf engeren und langsameren Trails unterwegs ist, wird das 170mm Geschoss zu schwerfällig finden. Das Stumpjumper Evo sollte da der bessere Begleiter sein.

Wenn ihr jedoch viel im Park und auf anspruchsvollen Enduro Strecken unterwegs seid und einfach Vollgas ballern wollt, dann seid ihr beim Specialized Enduro genau richtig.

Persönliche Meinung des Redakteurs

Würde ich es mir persönlich kaufen? Tatsächlich habe ich schon länger darüber nachgedacht und konnte es mir einfach nicht leisten. Das Problem haben wahrscheinlich viele. Die Einstiegsvariante ist schon recht teuer und die Bikes von Direktversendern sind da oft attraktiver. Aber dank Jobrad ist mittlerweile vieles Möglich und auch Mtbs der höheren Preisklasse sind nicht mehr ganz so utopisch.

Oft verlieren Dream-Bikes nach einer gewissen Zeit auch ihren Zauber. Beim Enduro war das bei mir nicht der Fall. Ich habe mich jedes mal auf Laps mit dem Specialized gefreut und hatte einige der besten Bike Tage der Saison auf dem Geschoss. Ich persönlich würde die Reifen tauschen, da die Karkasse unter meinem höheren Körpergewicht etwas schneller nachgibt.

Auch beim Waschen des Bikes ist mir etwas aufgefallen. Der Hinterbau verfügt mit seiner komplizierten Anlenkung über einige Spalten in denen sich Steine verfangen und Dreck sammeln kann. Hier sollte man unbedingt nach jeder Fahrt den Dreck entfernen damit sich kleinere Teile nicht in den Gelenken verkeilen und den Rahmen beschädigen können.

Falls der Rahmen jedoch mal beschädigt werden sollte, habe ich von einigen Bekannten nur gutes Feedback zum Specialized Service bekommen. Der Rahmen eines guten Freundes hatte nach einem heftigen Drop to Flat einen Riss im headset und wurde von Specialized auf Garantie ausgetauscht.

Propain Trail

Das Fazit zum Specialized S-Works Enduro

Hohe Geschwindigkeiten, unfahrbares Terrain und große Sprünge sind mit dem Specialized Enduro kein Problem. Wenn es darum geht, dass Downhill Bikes unnötig werden, vertritt das kalifornische 170mm Twenty-Niner diesen Standpunkt am besten. Die Performance hat uns eine ganze Saison lang mit mehr Selbstbewusstsein versorgt und das Fahrwerk arbeitet dabei so sensibel, dass selbst die anspruchsvollsten Trails plötzlich machbar waren.

Von all den Enduro Mountainbikes, die wir in den letzten Jahren testen durften, gehört das Specialized Enduro zu den mit Abstand potentesten Exemplaren. Der Name ist hier definitiv Programm!

Mehr Informationen findet ihr unter: www.specialized.com

Bekleidung: Vaude
Bike: Specialized Enduro
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