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Unfälle im Extremsport: „Red Bull ist an allem Schuld“ – stimmt das?

Paul Basagoitia ist bei der Rampage am Freitag schwer gestürzt, er brach sich dabei den T12-Wirbel und musste neun Stunden lang operiert werden. Ob er wieder vollständig genesen wird, steht bisher noch nicht fest. Spätestens seit dem TV-Beitrag „Die dunkle Seite von Red Bull“ scheinen viele in dem Brausehersteller einen Sündenbock für solch schwere Verletzungen und Todesfälle im Extremsport gefunden zu haben. Zu einfach und zu einseitig, wie wir finden.

[[nid:3505]] // Die Red Bull Rampage wird jedes Jahr weltweit live übertragen

Einige Leute sind der Meinung, dass sich nur wegen des Getränkeherstellers Red Bull Extremsportler in Lebensgefahr bringen. Denn der gibt eine Menge Geld dafür aus, spektakuläre Shows auf die Beine zu stellen. Auch fast alle großen Events in der Gravity Mountainbike Welt sind von Red Bull gesponsert und einige der besten Fahrer stehen bei dem roten Bullen unter Vertrag. Aber: Einen Red Bull Helm bekommt man nicht einfach so, um sich anschließend irgendwo runterzustürzen. Für einen solchen Sponsoring-Vertrag muss man zur absoluten Weltspitze gehören. Dort hin zu gelangen dauert Jahre und beginnt immer ohne Sponsoren.

[[nid:3507]] // Ein Weltklasse-Fahrer wie Andreu Lacondeguy hat über Jahre eine hervorragende Leistung bringen müssen, bis er von Red Bull unter Vertrag genommen wurde

Was viele auf ihrer Suche nach einem Sündenbock für schwere Verletzungen vergessen, ist, dass wir einen grundsätzlich gefährlichen Sport ausüben. Dafür kann auch eine Firma wenig, die Events als Geldgeber unterstützt. Auch wenn sie dadurch natürlich Werbung generiert. Der Sport war zuerst da und mit ihm der Drang der Sportler, die eigenen Grenzen zu pushen. Was für einen Hobbybiker ein kleiner Drop von 1,20 Metern im Bikepark ist, ist für einen Profi eben ein 12 Meter Drop. Die Gefährlichkeit richtet sich nach den eigenen Skills und Erfahrungen, nicht ausschließlich nach der absoluten Höhe. Auch nach einem 1,20 Meter Drop kann man im Rollstuhl landen.
Und trotzdem lieben wir alle unseren Sport. Jeder freut sich, wenn er auf einmal über sich selbst hinausgewachsen ist und einen höheren Drop oder weiteren Sprung geschafft hat. Das macht der Hobbybiker freiwillig. Da wedelt keiner mit Geldscheinen, damit wir das tun. Dennoch gehen wir das Risiko ein. Für uns selbst. Gegen den inneren Schweinehund – und weil es schlicht Spaß bereitet, über sich hinauszuwachsen. Das hat auch nichts mit „Adrenalinkick" zu tun, wie Otto Normalbürger gerne spottet. Jemand, dessen „krasseste" Erfahrung im Leben eine Achterbahnfahrt im Freizeitpark ist, kann die Liebe zu einem extremen Sport einfach nicht nachvollziehen.
Und diese Grundmotivation ist bei den Profis die gleiche.

Um Profi zu werden, braucht es einen enormen Ehrgeiz. Talent spielt ebenfalls eine Rolle, hartes Training sowieso. Die Jungs, die bei den ganz großen Events starten oder Parts in den großen Videoproduktionen haben, wissen, was sie tun. Zwar kommt es zu Stürzen und zu schweren Verletzungen. Doch das passiert auch bei uns Hobbybikern und hält uns nicht von unserem geliebten Sport ab.
Das gilt auch für alle anderen Sportarten. Beim Motorsport gibt es ebenfalls Unfälle. Auf der Nordschleife fahren sich auch Hobbyfahrer bei den Touristenfahrten ins Krankenhaus. Und selbst beim Fußball treten sie sich die Kreuzbänder kaputt.

Klar, ein Profi lebt von dem Sport und muss durch krasse Tricks und Sprünge aus der Masse hervorstechen, um im Geschäft zu bleiben. Machen wir uns nichts vor, da herrscht ein enormer Druck. Aber dabei geht es im Vergleich zu Breitensportarten bei dem Großteil um lächerliche Geldbeträge und ein paar gratis Bikes. Für eine Handvoll Dollar bringt sich keiner der Profis in Gefahr. Um das auf sich zu nehmen, muss man den Sport schon lieben. Ein Leben in Luxus führen Profibiker in der Regel nämlich nicht.
Es stimmt, sie könnten auch einen „normalen“ Job machen. Dumm ist keiner von den Jungs. Aber nicht für jeden ist ein „nine to five"-Job etwas. Manche möchten eben mehr vom Leben, als jeden Tag im Büro zu sitzen und etwas zu machen, auf das sie eigentlich keinen Bock haben. Es geht im Leben eben nicht nur um Geld und das dickste Auto. Einen solchen Weg zu gehen ist mutig und verdammt schwer. Denn persönliche Träume erreicht man nicht einfach nur dadurch, dass man fest dran glaubt. Sie zu verwirklichen ist harte Arbeit und bedeutet in den wenigsten Fällen das große Geld.

Unserer Meinung nach sollte man Sponsoren und Veranstaltern im Bike-Sport eher Vorwürfe machen, warum die Profisportler solch niedrige Gehälter und Preisgelder bekommen. Geld ist da, sonst würde es keine weltweiten Live-Übertragungen geben. Und das ganze Coverage, das eine Red Bull Rampage weltweit erhält, sorgt natürlich auch für mehr Verkäufe beim Sponsor. Das ist das Prinzip von guter Werbung. Dennoch sind die Beträge, die die Fahrer sehen, ein schlechter Witz.

Eine Plattform würde es auch ohne Red Bull geben. Zwar nicht in dem Maße mit Live-Übertragungen und Co, aber die Sprünge wären nicht kleiner. Dass die Limits des Sports auch ohne dicke Sponsoren enorm gepusht werden, sieht man etwa an der FEST Series. Die Jungs springen die dicksten Kicker mit bis zu dreißig Metern Weite. Freiwillig. Ohne dass es Preisgeld oder Punkte für eine Weltrangliste gibt. Sie finanzieren ihre Events teilweise sogar aus eigener Tasche. Und die FEST Series hat nichts mit „jugendlichem Leichtsinn“ zu tun. Der Großteil der Teilnehmer ist Ende 20 bis Mitte 30. Auch die Jungs wissen ganz genau, was sie tun.

Es lässt sich nicht bestreiten: Die Werbebereitschaft von Red Bull bringt unserem Sport extrem viel. Nehmen wir zum Beispiel die Live-Übertragungen. Ohne Red Bull würde keiner von uns den Downhill World Cup oder die Rampage live am heimischen Bildschirm verfolgen können. Und das auch noch gratis. Wir erinnern uns noch gut an die Proteste der Zuschauer, als freecaster.tv (ehemaliger World-Cup Live-Stream) aus Kostengründen nach einer Gebühr von wenigen Euro pro Live-Übertragung fragte. Der Aufschrei war groß, viele Zuschauer waren nicht bereit, für eine Übertragung zu bezahlen. Danach hat sich Red Bull die Rechte gesichert. Ohne Red Bull gäbe es heute also keinen gratis Live-Stream. Und somit auch weniger Aufmerksamkeit für unseren Sport. Dass man deshalb überall Red Bull Logos sieht, ist dann doch verdammt nochmal zu verkraften, oder nicht?

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Was beim Thema Red Bull ebenfalls gerne vergessen wird: Mit „Wings For Life“ investiert Red-Bull Millionenbeträge in die Rückenmarksforschung. Das langfristige Ziel ist, Querschnittslähmungen heilbar zu machen. Allein 2012 spendete Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz 70 Millionen Euro an ein Forschungszentrum an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. Denn in der öffentlich geförderten oder in der pharmazeutischen Forschung wird Querschnittslähmung im Vergleich zu Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen eher stiefmütterlich behandelt. Der Grund: Es gibt – so makaber es klingt – „zu wenige“ Querschnittsgelähmte, als dass sich eine umfassende Forschung wirtschaftlich lohnen würde.
Wer jetzt sagt, dass es Extremsportler auch nicht verdient hätten, dass Steuergelder für die Folgen ihrer Risikobereitschaft ausgegeben werden, sollte sich einmal die jährlichen Statistiken zu den Gründen für Unfälle mit Querschnittslähmungen anschauen: Nur bei 3 Prozent ist die Ursache Extremsport. Die häufigste Ursache ist ein Unfall im Straßenverkehr. Und allein 24 Prozent landen durch einen Sturz im Haushalt oder im Beruf im Rollstuhl, dagegen nur 6 Prozent durch eine normale sportliche Tätigkeit, also ohne Extremsportarten.
Rauchen und ungesunde Lebensweisen verschlingen durch Langzeitfolgen wie Krebs und Diabetes deutlich mehr öffentliche Gelder.

Ja, das Leben ist ziemlich gefährlich und jede Verletzung ist tragisch, das ist völlig unstrittig. Aber dafür muss man keine extreme Sportart ausüben, es reicht im schlimmsten Fall die tägliche Fahrt zur Arbeit mit dem Auto oder das Fensterputzen im zweiten Stock. Sich deshalb in der dunklen Wohnung einzusperren, damit einem nichts passiert, ist aber keine Lösung. Und den Sündenbock in einer Firma wie Red Bull zu suchen, auch nicht.

 

(Text: Fabio Schäfer – Chefredakteur Gravity Mountainbike Magazine)

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